Unterwegs nach Portugal: Wandern oder Pilgern?

Im August 2022 schultere ich früh morgens meinen Rucksack, nehme meinen Hund und trete aus der Haustüre. Heute ist der erste Tag des langen Weges von meinem zu Hause bis nach Portugal. Über 3000 Kilometer werde ich unterwegs sein, das meiste davon auf Jakobswegen.

Wandern oder Pilgern, was mache ich hier eigentlich?

In Deutschland laufe ich auf Fernwanderwegen durch den Hunsrück (Soonwaldsteig und Saar-Hunsrück-Steig). Meine Route ab der französischen Grenze verläuft auf Jakobswegen. Das hatte für mich hauptsächlich praktische Gründe, denn die Wege sind gut markiert und bringen mich genau dorthin, wo ich hinmöchte – an den westlichsten Punkt auf dem Festland Europas. Das ich dabei zunächst das große Pilgerziel Santiago de Compostela passiere ist eher Zufall.

Zu diesem Zeitpunkt sehe ich mich klar als Fernwanderin und meinen Hund Lola als Wanderpfötchen. Das Bild vom Pilgern, das ich derzeit im Kopf habe, passt einfach nicht zu mir.

Geprägt von Vorurteilen und völlig unwissend ist meine Vorstellung vom Pilgern vor meiner eigenen Reise. Einfach gesagt sind Pilger für mich Menschen, die in großen Gruppen über einen gut ausgebauten und völlig überfüllten Weg durch Spanien laufen und seelischen Ballast loswerden wollen. Das der einzige Pilger, den ich persönlich kenne, diesem Bild so gar nicht entspricht, blende ich aus. Auch die Definition von Wikipedia sagt mir nicht zu. Schließlich bin ich keine Person, die aus Glaubensgründen in die Fremde zieht.

Es kommt niemals ein Pilger nach Hause, ohne ein Vorurteil weniger und eine neue Idee mehr zu haben.

Thomas Morus

Fest steht, dass ich nicht in dieses (von mir ausgedachte) Raster passe. Ich will nach Portugal wandern, um draußen zu sein, die Komfortzone zu verlassen, Abenteuer zu erleben und an der Aufgabe wachsen. Ich bin neugierig auf den Weg und meine Begegnungen. Sicher wäre es schön unterwegs auch auf Gleichgesinnte zu treffen, aber mir graut es davor, mich in eine Perlenkette aus Menschen nach Santiago einzureihen. Auch deshalb habe ich mir für Spanien den weniger frequentierten Camino del Norte ausgesucht.

Wie falsch ich mit meinen Einschätzungen lag, werde ich erst in einigen hundert Kilometern erfahren.

Doch was genau sind denn nun die Unterschiede zwischen Wandern und Pilgern?

Was die Art der Fortbewegung angeht, besteht kein großer Unterschied, denn sowohl Pilger als auch Wanderer bewegen sich auf Schusters Rappen fort. Beide tragen das Gepäck auf den Schultern und haben ein Ziel vor Augen.

Pilgern ist letztlich eine etwas andere Art des Wanderns, denn Pilger wandern ebenfalls, aber nicht nur. Der Unterschied ist die spirituelle oder religiöse Komponente beim Pilgern.

Pilger sind Suchende.

Manche suchen den Sinn des Lebens, die eigene Personenmitte oder den Austausch mit anderen. Oft geht es aber auch um die Auseinandersetzung mit praktischen, lebensnahen Fragen.

Der Fokus beim Pilgern liegt auf dem Unterwegssein, nicht beim Ankommen. Doch ohne Ziel geht es auch beim Pilgern nicht, denn das Ziel schafft den Rahmen und die Motivation.

Die bekanntesten Wege wie der Jakobsweg in Spanien oder die Via Francigena sind gut erschlossen. Nicht jeder Schritt muss genau gesetzt werden, oft läuft man auf breiten und bequemen Wegen dahin. Das ermöglicht es, im Unterwegssein das eigene Leben zu reflektieren. Man verlässt die heimische Komfortzone und erlebt eine Kombination aus Abwechslung und Routine. Man konfrontiert sich mit dem Alleinsein und nimmt innere Impulse wahr. Dieses achtsame Bei-Sich-Sein in der Natur, fernab vom Alltagstrott lässt einen das Leben spüren und führt einen vielleicht sogar näher zu sich selbst.

Wandern, Fernwandern oder Weitwandern hingegen kommt ohne diese spirituelle Komponente aus. Es geht eher um das Erreichen eines Ziels (z.B. einem Gipfel), anstatt um das Unterwegs sein an sich. Sportliche und technische Aspekte rücken in den Vordergrund.

Wie ich vom Wanderer zum Pilger wurde

Standen anfangs die technischen Aspekte der Route im Vordergrund, habe ich in Frankreich gemerkt, wie ich mich selbst immer mehr als Pilgerin gesehen habe.

Es fing an mit Begegnungen mit anderen Pilgern, Gesprächen mit Gastgebern und Fremden mitten auf dem Weg. Ich merke, dass pilgern nichts mit dem Weg zu tun hat, den man läuft. Egal, ob du auf einem Jakobsweg unterwegs bist oder einem klassischen Fernwanderweg, bei beiden Wegen kannst du sowohl Wanderer als auch Pilger sein.

Auch meine Vorurteile werfe ich schnell über Bord – es gibt kein einheitliches Bild von Pilgern. Das merkt man, wenn man sich unvoreingenommen auf die Geschichten der anderen Pilger einlässt. Gemeinsam ist allen, dass sie unterwegs sind und ihr Weg eine spirituelle Komponente hat.

Dieser Definition fühle ich mich immer mehr zugehörig. Denn auch mein Fokus liegt auf dem Unterwegssein, achtsam die Natur zu erleben, Begegnungen machen, neue Erfahrungen sammeln. In Frankreich ist es dann soweit und ich bezeichne mich zum ersten Mal als Pilgerin.

Und mein Hund Lola? Na, die wird vom Wanderpfötchen zum Pilgerpfötchen.

Fazit einer Pilgerin

Habe ich mich vorab über den Hype, den der Jakobsweg erfährt, noch gewundert, kann ich ihn mittlerweile nur zu gut nachvollziehen. Die Beschränkung auf das Nötigste und den fehlenden Ballast aus dem „echten Leben zu Hause“ tun der Seele gut. Nicht Wenige haben durch die Kombination aus Abwechslung und Routine, ganz neue Bereiche der eigenen Person entdeckt. Für viele ist der erste Jakobsweg deshalb der Beginn einer jahrelangen Freundschaft. Manche behaupten sogar, Pilgern mache süchtig.

Meine Vorurteile über das Pilgern auf dem Jakobsweg habe ich schon lange abgelegt.

Ich bin als Wanderin losgelaufen und als Pilgerin angekommen. Nichtsdestotrotz bin ich weiterhin eine Wanderin, die auch sportlichen Wanderwegen nicht abgeneigt ist. Die Definition ‚Wandern oder Pilgern‘ hat für mich aber seine Bedeutung verloren. Das Wichtigste ist, loszulaufen und seinen Weg zu gehen. Egal, ob als Wanderer oder Pilger.

Buen Camino,

Pilgerpfötchen Lola mit Frauchen Katrin

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