GR10: Pyrenäen Tagebuch #5 Zentralpyrenäen

Der Abschied aus Cauterets fällt uns schwer, denn mittlerweile ist der Herbst angekommen und bringt Regen und ungemütliche Temperaturen mit sich. Doch der GR10 ruft, und wir kommen.

Etappe 22, 20.10.23: Cauterets – Col de Riou – Grust – Luz-Saint-Sauveur

Tageskilometer, Anstieg/Abstieg: 20,5 km, 1128/1334

Übernachtung: Campingplatz Le Bergons am Ortsausgang von Luz-Saint-Sauveur

Morgens mache ich die letzten Erledigungen in Cauterets. Unter anderem statte ich der Touristeninformation einen Besuch ab, um zu erfragen, welcher Campingplatz in Luz-Saint-Sauveur noch geöffnet hat.

Die Dame war zwar nett, wusste jedoch weder etwas über die Campingplätze in Luz, noch etwas zur Wegbeschaffenheit für die heutige Etappe. Scheinbar kennt sie auch den GR10 nicht, denn sie schlägt vor, das wir doch den Bus nehmen sollen, anstatt zu laufen. Hä? Bevor ich widersprechen kann zückt sie den Fahrplan und erklärt, dass ich nur einmal umsteigen muss, um dann nur noch 1.5 Stunden auf der Straße bis Luz zu laufen. Das wäre zwar gefährlich, aber meine beste Möglichkeit. Aha. Ich bedanke mich und ziehe von dannen.

Gegen 11 Uhr verlassen wir schlecht gelaunt das Airbnb.

Die letzten Tage haben wir uns an die beheizte und trockene Wohnung gewöhnt und uns einlullen lassen vom Luxus – Bett, Bad, Küche, Stuhl, Tisch: alles zu jeder Zeit und ohne Aufwand verfügbar.

Dazu kommt die Wettervorhersage für den heutigen Tag: REGEN! Und zwar durchgehend bis abends um 19 Uhr.

Der Kontrast könnte nicht größer sein.

Nässe statt Trockenheit.
Isomatte statt Bett.
Zelt statt Wohnung.
Früh schlafen statt lange aufbleiben.
Jacke statt Heizung.
Gemüse-Couscous statt Restaurantküche.
Bewegung statt Stillstand.

Und doch zieht es uns zurück auf den GR10.

Beim Loslaufen ist es trocken, die Regenklamotten sind griffbereit ganz oben. Die heutige Etappe laufen wir eine GR10 Variante, um über den Col de Riou direkt nach Luz-Saint-Sauveur zu laufen. Die offizielle Route ist mit Hund gesperrt (siehe Infobox).

Information Hund: Der offizielle Wegverlauf des GR10 führt von Cauterets aus durch den Pyrenäen Nationalpark bis Luz-Saint-Sauveur. Diese Wegführung ist mit Hund nicht erlaubt. Deshalb sind wir von Cauterets über den Col de Riou nach Luz-Saint-Sauveur gelaufen.
Damit spart man 2 Etappen, denn über den Col de Riou läuft man 19 km (1 Tag) statt 58 km (ca. 3 Tage) für den offiziellen GR10.

Wir laufen aus der Stadt raus und in den Wald rein. Das letzte Stück zum Col der Riou geht es auf einem Wiesenpfad in Serpentinen nach oben. Der Wind wird immer stärker und kühlt mich aus. Ich ziehe die Regenjacke an und die Kapuze auf, um warum zu bleiben.

Auf der anderen Seite des Col de Riou sehen wir bereits das Tagesziel Luz-Saint-Sauveur. Auf Wiesen steigen wir durchs Skigebiet ab, dann laufen wir mehr oder weniger an der Straße weiter nach unten.

Bei einer schnellen Pause am Wegesrand gibt es geschmiertes Baguette. Der Gourmethund schleckt den cremigen Ziegenkäse leer, der nicht mehr aufs Brot gepasst hat. Danach fallen Lola die Augen zu. Müde. Doch mittlerweile hat es angefangen zu regnen, es ist ungemütlich und kalt. Lola kringelt sich ein, zittert aber trotz Jacke.

Auch ich ziehe zum ersten Mal meine Regenhose an, denn bergab werde ich nicht mehr warm.

In Luz-Saint-Sauveur versuche ich es erneut bei der Touristeninformation und bekomme einen geöffneten Campingplatz empfohlen. Na also, geht doch.

Etwa 1 km außerhalb von der Stadt bauen wir im Regen unser Zelt auf.

Wir blicken zurück auf Cauterets
Aufstieg zum Col de Riou – die Alternativroute von Cauterets nach Luz-Saint-Sauveur mit Hund
Auf Passhöhe – trotz herbstlichen Temperaturen läuft Till lieber in kurzen Klamotten

Etappe 23, 21.10.23: Luz-Saint-Sauveur – Viella – Viey – Sers – Barèges – Parkplatz Tournaboup – Pont de Pountou

Tageskilometer, Anstieg/Abstieg: 14,9 km, 1194/196

Übernachtung: Biwak am Fluss in der Nähe der Brücke Pont de Pountou

Die Nacht war mit 5°C kälter als erwartet. Till hat den neuen Schlafsack eingeweiht und war endlich schön warm.

Die Gipfel in der Ferne haben ein Schneehäubchen. Mein erster Gedanke ist: Wow, Schnee! Direkt danach die Frage: Müssen wir da hoch? Die Dame in der Touristeninformation hat mich angeschaut, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, als ich sie nach Schnee in den Bergen gefragt habe. Und nun sehe ich Schnee auf den Bergkuppen, der mich beunruhigt. Für Schnee sind wir nicht ausgerüstet.

Ich laufe zurück in die Innenstadt von Luz, besorge Frühstück und belegte Baguettes für unterwegs sowie Proviant für die nächsten Tage.

Heute ist fantastisches Wetter, aber die Etappe ist unspektakulär. Es geht quasi neben der Straße her und durch viele kleine süße Ortschaften durch.

In Barèges haben wir Glück und können in ein Hotelrestaurant einkehren. Ich stürze mich auf Spagetti Bolognese und Till bestellt französischen Croque. Ein Croque (knacken, krachen) ist die französische Variante eines Sandwiches bei denen Toastscheiben mit Käse und Kochschinken belegt werden und das ganze mit Käse überbacken bzw. angebraten wird. Wahlweise kommt auch ein Spiegelei drauf (Croque Madame). Zum Nachtisch gibt es den obligatorischen Crêpe mit Kaffee. Die Besitzer kommen aus Belgien und haben das Hotel erst im Sommer übernommen. Morgen schließen sie, bis die Wintersaison beginnt.

Das Stück von Barèges bis zum Parkplatz Tournaboup laufen wir auf der Straße statt auf dem regulären Weg. Zur Abwechslung wollen wir schnell und easy Kilometer machen. Nervig sind nur die Autos einer Ferrari Rallye, die just als wir loslaufen in einer nicht enden wollenden Schlange an uns vorbeirasen. Lola findet es ätzend, läuft mit eingezogenem Schwanz und wirft mir verständnislose, vorwurfsvolle Blicke zu.

Am Parkplatz biegen wir rechts ab ins Skigebiet. Noch ca. 2-3 km laufen wir weiter, dann finden wir einen schönen Biwakplatz.

Obwohl schon später Nachmittag ist, laufen noch ca. 30-50 Leute aus den Bergen zurück zum Parkplatz. Was ist denn hier los? Dann fällt mir ein, dass wir auf dem Weg zum Naturreservat Néouvielle sind. Es ist Wochenende bei schönstem Wetter, da sind die Wanderwege beliebt.

Information Hund: Im Naturreservat Néouvielle sind keine Hunde gestattet. Die offizielle Umleitung folgt der Variante des GR10C um den Pic du Midi de Bigorre und zweigt am Parkplatz Tournaboup ab. Wir sind jedoch eine kürzere Variante über den Col de Baréges zum Lac de l’Oule gelaufen und weitestgehend am Rand des Parks entlanggelaufen. Laut Karte laufen wir zwar für ein paar Hundert Meter durch das Naturreservat, aber das finden wir vertretbar.

Abends schauen wir routinemäßig in die Wetterapp. Die Wettervorhersage für morgen Abend und vor allem die Nacht ist beunruhigend, denn es soll starke Windböen geben. Bis zu 110 km/h sagt Wetter Online. Bis zu 140 km/h Meteoblue. Alle Vorhersagen sind sich einig, dass es starke Böen geben wird. Der geplante Schlafplatz ist ein Biwakplatz am See Lac de l’Oule. Auf den Fotos sieht der See jedoch sehr exponiert aus. Zwar gibt es eine Schutzhütte, laut Internet ist diese aber geschlossen. Was tun?

Wir berechnen die Route neu, lesen im Wanderführer, welche Schwierigkeiten und Wege uns erwarten und schmieden einen neuen Plan für morgen.

Morgens in Luz-Saint-Sauveur besorge ich Frühstück und Proviant – die Bergspitzen sind leicht gepudert
Heute laufen wir durch viele kleine Dörfer – Viella, Viey, Sers
Blick auf Barèges
In Barèges finden wir das geöffnete Hotel Alphee, das uns mit Croque versorgt, der französischen Variante eines Sandwich
Von Bareges aus laufen wir auf der Straße bis zum Parkplatz Tournaboup – leider ohne Seitenstreifen
Wanderhund Lola auf dem GR10
Lola darf immer als erstes in den Schlafsack krabbeln – gefressen wird in einer warmen Höhle
Traumhafter Biwakplatz an der Brücke Pont de Pountou

Etappe 24, 22.10.23: Pont de Pountou – Cabane d’Aygues-Cluses – Col de Barèges – Lac de l’Oule – Col de Portet – Espiaube – Soulan – Vignec

Tageskilometer, Anstieg/Abstieg: 27,5 km, 1202/2125

Übernachtung: Campingplatz Artiguette Saint-Jacques in Vignec

Kaffee kochen und frühstücken im Dunkeln. Es ist Sonntag und schon in der Dämmerung hören wir die ersten Leute an unserem Zelt vorbeilaufen.

Der Tag wird lang, denn wegen der Sturmwarnung für kommende Nacht wollen wir eine doppelte Etappe laufen. Wir wissen nicht, ob unser Zelt Böen von über 100 km/h aushält. Selbst wenn, machen wir dann kein Auge zu.

Wie geplant wollen wir zuerst bis zum See Lac de l’Oule. Statt dort zu übernachten hängen wir die zweite Etappe bis nach Vielle Aure dran, denn dort hat ein Campingplatz geöffnet. Das sind zwar 28 km, aber dafür stehen wir nachts definitiv an einem sicheren Ort und müssen keine Angst haben, dass uns das Zelt mitten im Nirgendwo um die Ohren fliegt.

Die Nacht war mit Abstand die bisher kälteste. Morgens zeigt das Thermometer zwar 3°C im Zelt an, aber das Außenzelt ist gefroren. Wir sind gut gerüstet und alle sind schön warm.

Um kurz vor 9 Uhr geht’s los. Till bleibt hartnäckig bei seinem Wanderoutfit und trägt kurze Hose. Ich laufe in voller Montur mit langer Hose, Longsleeve und Regenjacke.

An der Brücke Pont de Pountou biegen wir links ab und folgen dem Flusslauf. Wir haben den exklusiv Blick auf tolle Berge mit Schneehaube. Auch Biwakplätze hätte es hier en masse gegeben, ehrlich gesagt noch schöner als dort wo wir übernachtet hatten – kann man es wissen?

Wir sind so vertieft in die Landschaft, dass wir ständig von Wanderern und Wandergruppen überholt werden. Einige sind auch mit Hund unterwegs.

Plötzlich kommen uns sogar viele Wanderer mit leichtem Gepäck entgegen. Nanu, wo kommen die denn zu so früher Stunde her? Neugierig frage ich nach und erfahre, dass sie im Refuge Aygues-Cluses übernachtet haben. Kurz darauf passieren wir das moderne Haus, mitten in schönster Natur und mit Halbpension – zu meiner Überraschung noch geöffnet um diese Jahreszeit.

Kurz dahinter befindet sich die Schutzhütte Cabane Aygues Cluses, die zu meiner Überraschung ebenfalls geöffnet ist. Hier kann man bei Wind und Wetter geschützt übernachten.

Am Refuge biegen alle Wanderer rechts ab ins Naturreservat Néouvielle – auch die Wandergruppe mit zwei Hunden. Wie oben beschrieben sind Hunde im Naturreservat nicht gestattet. Wir halten uns links, um den Weg über den Col de Barège fortzusetzen.

Unbedacht folgen wir dem Wegverlauf, sind prompt falsch und finden uns 200 m unterhalb vom Weg. Mist. Querfeldein laufen wir steil den Hang nach oben. Je höher wir kommen, desto mehr Schnee liegt auf dem „Weg“. Nicht viel, aber ca. 5 cm dürften es schon sein.

Endlich wieder auf dem richtigen Weg gehen wir weiter zum Pass hinauf. Trotz dünner Schneeschicht ist der Weg noch zu erkennen und auch rutschig oder glatt ist es zum Glück nicht.

Dafür kommt jetzt ein eisiger Wind dazu und ich ziehe die Kapuze der Regenjacke eng zu, damit er mir nicht durch die Ohren pfeift. Die Luft ist eisig kalt und die Hände werden kaum warm, obwohl der Körper auf Hochtouren läuft.

Den Schnee lassen wir auf Passhöhe hinter uns, genauso wie den Wind.

Bergab laufen wir nun immer am Rand des Naturreservats entlang. An den beiden Seen laufen wir laut Karte kurz durch das Reservat hindurch. Aber es ist niemand da, den es stören würde.

Am zweiten See, dem Laquet de Coste Queillère befindet sich wieder eine offene Schutzhütte, die Cabane de Coste Queillère.

Am Fluss entlang geht es im lichten Wald weiter bis zum Lac de l’Oule. Erwartet haben wir einen idyllischen Bergsee. Tatsächlich handelt es sich aber um einen Stausee, der wegen Reparaturarbeiten gerade kein Wasser führt. Die Schutzhütte ist wie erwartet abgeschlossen. Die Biwakplätze sind schön – es würde sogar eine windgeschützte Ecke geben, aber wir sind früh und wollen bei Böen von über 100 km/h lieber auf Nummer sicher gehen und setzen den Weg nach Vielle Aure fort.

Durch das riesige Skigebiet Saint-Lary laufen wir bis zum Col de Portet und schauen uns interessiert die Sessellifte, einen Schlepplift der um die Ecke läuft und alte Stangenlifte an.

Das Bild setzt sich vom Pass aus fort, denn auch auf der anderen Seite sind überall Lifte. In Espiaube kommen wir schließlich an der Gondelstation raus.

Das letzte Stück bis Vignec ist lang und weit. Die doppelte Etappe verlangt uns alles ab. Um Viertel vor 7 kommen wir endlich an und checken auf dem kleinen Campingplatz ein.

Windgeschützt bauen wir das Zelt in der Ecke zwischen Mauer und Hütte auf und spannen es ab so gut wie möglich. Als erstes fällt uns die warme Luft auf, die unsere Wangen zum Glühen bringt. Nach der letzten eisigen Nacht und dem durchweg kühlen Tag, tauen wir wieder auf.

Lola rollt sich auf ihrer Decke ein, statt wie üblich zu drängeln um als erstes ins Zelt zu kommen. Auch als das Zelt steht und der Schlafsack bereit wäre, liegt der Kringel mit geschlossenen Augen da und ist nicht ansprechbar. 10 Stunden ohne Powernap sind für kleine Wanderpfötchen eine enorme Leistung. Till trägt sie ins warme Zelt und nach dem ersten Nickerchen kommt der große Hunger. Doppelte Portion Trockenfutter. Pansen. Kaustange. Käserinde. Wasser. Schlafen. Wasser. Schlafen. Wasser. Schlafen.

Abends gibt es für uns nur einen kleinen Snack, die Küche bleibt kalt. Wir sind müde und platt, aber freuen uns auf eine ruhige und hoffentlich windstille Nacht.

Kurz vor dem Refuge Aygues-Cluses
Frauchen mit Wanderhund Lola auf dem Weg ins Naturreservat Neouvielle (bzw. daran vorbei)
Zwischen Tournaboup und dem Col de Barèges
Hütte / Refuge Aygues-Cluses – im Oktober noch geöffnet, aber keine Hunde erlaubt
Die Nothütte Cabane Aygues-Cluses war offen
Schnee auf dem GR10? Im Oktober am Col de Barège ist es zumindest leicht gezuckert
Aufstieg zum Col de Barège – tatsächlich liegt der erste Schnee hier oben
Vom Col de Barège aus laufen wir immer an der Grenze des Naturreservats Neouvielle entlang zum Lac de L’Oule
Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt muss man sich in der Pause gegenseitig wärmen
Käse, Schokolade und Snickers für unterwegs
Stausee Lac de L’Oule ohne Wasser
Aire de Bivouac am Lac de L’Oule – wenig Schutz bei Windböen von über 100 km/h
Endlose Hänge die ohne Schnee und Ski kaum enden wollen
Unterwegs im Skigebiet Saint-Lary

Pausetag in Vignec und Saint Lary

Die Böen hören wir nur von weitem vorbeipfeifen. Unser Zelt steht wie ein Fels und ist zwischen Hütte und Mauer perfekt positioniert.

Vormittags arbeitet Till und ich gehe auf Erkundungstour im Nachbarort Saint Lary, das wir scherzhaft Sellerie nennen. Ich laufe an der Gondelstation vorbei, die das Dorf mit dem großen Skigebiet verbindet, durch das wir gestern stundenlang marschiert sind.

Der Ort selbst bietet einen Supermarkt sowie zahlreiche Cafés, Restaurants und Hotels. Vieles hat geschlossen, manches geöffnet.

Abends fällt der rechte Zehennagel ab. Der hatte sich beim Mammutmarsch vor über 2 Monaten gelockert und hing schon seit Wochen lose am Zeh. Die gestrigen 2000 Meter bergab haben ihm den Rest verpasst.

Mehr von der Fernwanderung auf dem GR10

Alle Informationen zur Planung & Durchführung der Pyrenäenüberquerung mit Hund habe ich im Blogbeitrag GR10 mit Hund: Planung & Wissenswertes beschrieben.

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